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Die Mine von Potosí – Eine Hölle auf Erden

Wir spuckten und husteten. Unsere Kopfleuchten durchdrangen kaum den dichten Nebel aus Staub und bereits nach wenigen Metern fielen wir keuchend zu Boden. Minenarbeiter schritten zügig an uns vorbei. „Sie werden kaum älter als 45 Jahre.“, gab unser Guide Pedro bekannt. An seiner Aussage zweifelte ich keinen Moment.
Aus der Silber-Mine von Potosí schöpften einst die Spanier ihren Reichtum. 1545 gegründet, entpuppten sich deren Flöze, als die lukrativsten weltweit. Ende des 18. Jahrhunderts waren die Straßen der Stadt mit Silber „gepflastert“, Potosí entwickelte sich zum größten und reichsten Ort Lateinamerikas. Im Cerro Rico, dem „Reichen Berg“, wurden Sklaven aus Afrika und Südamerika zur Arbeit gezwungen, mehr als 8 Millionen von ihnen fanden hier ihren Tod. Es heißt, die Hügel um Potosí beständen nur aus Knochen.
Mit 4070 m über dem Meeresspiegel gelegen, gilt Potosí als die höchste Stadt der Welt. Die Luft ist hier so dünn, dass ich in der vergangenen Nacht kaum schlafen konnte. Nach Luft schnappend krochen wir auf allen Vieren durch die schmalen Schächte. Durch körperenge Löcher verschluckte uns eine albtraumhafte, schmutzige Tiefe.
So offenbarte mir Potosi nicht nur früheren, sondern auch heutigen Schrecken. Die Silbervorkommen sind zwar erschöpft, doch dafür wird weiter nach anderen Mineralien geschürft. „Die Steinmauern stammen noch aus dem 16. Jahrhundert“, verkündete unser Guide. Holzstützen sind kaum vorhanden. Nicht einmal einen Lift gibt es, von einer Belüftung ganz zu Schweigen. Erst war mir furchtbar kalt, dann wurde es plötzlich heiß. Wie zum Beweis meines Verdachtes, tauchte plötzlich vor mir eine lebensgroße Teufelsstatue auf. „Das ist Tio.“, erklärte mir Pedro, „Die Arbeiter beten ihn zum Schutz ihres Lebens an.“. Um die Figur türmte sich ein Berg von Plastikflaschen auf, „Alcohol Potable, 96 %“ konnte ich darauf lesen.
Dann polterte es heftig. Aus dem Dunkel heraus, sprang ein Junge auf mich zu. „Platz da!“, schrie er, „Zur Seite!“. Erschrocken folgte ich seinem Aufruf und gleich darauf rumpelte ein Wagen an mir vorbei, gezogen von ein paar Jungen, die ich nicht älter schätzen mochte, als vielleicht 14 Jahre. Fragend sah ich Pedro an. „Der Jüngste ist gerade einmal 10 Jahre alt.“, gab er mir Preis. Durch seine geringe Körpergröße ist er von besonderem Nutzen: Um zu den Erzen vorzustoßen, graben die Arbeiter zu Beginn nur einen sehr schmalen Schacht, in den sie gerade mal auf ihrem Bauch hinein rutschen können. Am Ende des Tunnels positionieren sie dann Dynamit und nur der 10-jährige ist in der Lage, es zu zünden und schnell zu wenden… Ein fernes „Rumsen“ gefolgt von einem tiefen Grollen unterbrach Pedro bei seinem Kommentar. Staub rieselte auf mich herab. Ob es hier einen Sprengmeister gab, wagte ich zu bezweifelten.
Die Mine ist als Kooperative organisiert, jeder Kumpel bewirtschaftet seinen eigenen Claim. Das Geschürfte verkauft er an eine private, meist ausländische Schmelze. Dabei macht er im Monat einen Profit von etwa 100 bis 500 US-Dollar – und an dieser Stelle stellt sich die Frage nach dem „Warum?“. Warum suchen sich die Arbeiter nicht außerhalb der Mine eine Tätigkeit, warum kriechen sie täglich in diese tödlichen Löcher, wenn dabei so gut wie nichts für sie herausspringt? Die Antwort ist bestürzend einfach: Sie kennen es nicht anders. Sie haben nie eine Schule besucht. Ihre Väter haben sie von klein auf mit in den Berg genommen. Alles was sie können, ist schürfen. In den Minen sprechen die Arbeiter „Quecha“, eine Sprache der sie sich verbunden fühlen. Es sind ihre Freunde, mit denen sie hier ihr Leben teilen.
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Vor unserem Abstieg in den Berg hatte uns Pedro auf einen Markt geführt, auf dem es Werkzeug für die Kumpel zu kaufen gab, und uns aufgefordert, ein paar Geschenke zu erstehen. Bei der Auswahl half er uns. Den Fruchtsaft, das Dynamit und die Koka-Blätter nahmen uns die Kumpel später in der Mine dankend ab. Dennoch blieb beim Verlassen der Mine ein verstörendes Gefühl zurück. Pedro versuchte uns aufzuheitern: „Wer ist hier verrückter?“, fragte er scherzend, „Die Arbeiter, die in die Mine gehen, um Geld zu verdienen, oder ihr, die ihr dafür auch noch mit Geld bezahlt?“. Der Scherz half nicht viel und so versuchte Pedro unsere bedrückenden Gedanken mit etwas TNT wegzusprengen, was ihm dann – ehrlich gesagt – auch gelang.*

* Einen kurzen Clip von der Zündung könnt ihr in der Foto-Sammlung finden. Der Clip zur Sprengung ließ sich nicht hochladen – Flickr nimmt leider nur Clips, mit eine Länge von weniger als einer Minute an…
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Posted in Bolivien.

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One Response

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  1. Sören says

    Ja mann, die Mienen von Potosi waren bisher das extremste, was ich an menschlicher Arbeitsleistung bisher gesehen habe. Ich erinnere mich daran, wie beeindruckt und erschrocjken zugleich ich war, als wir nach 2 Tagen aujs den Minen kamen. Deine Bilder zeigen allerdings elektolampen, als ich dort war wurde noch mit Karbidlampen „geleuchtet“. Unmöglich, dass jemals zu vergessen. Gute Reise!