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Temazcal – Eine Erfahrung der spirituellen Art

Mein Frust über die mir zugezogene Bänderzerrung verflog recht rasch. Zum einen erholte sich mein Knöchel schneller als anfänglich erwartet – auch wenn mir längere Fußmärsche noch immer nicht möglich sind. Zum anderen bot sich mir so die Gelegenheit, noch mehr ins kolumbianische Leben einzutauchen und weitere spannende Menschen dieses wunderbaren Landes kennenzulernen. Bei einem Abendkurs an der hiesigen Universität stellte mir Micha seine Kommilitonin Ana-Maria vor. In den vergangenen Tagen führte sie mich durch Pereira und weitere Orte in der näheren Umgebung. Eine kleine Fotostrecke dazu findet ihr hier…

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Am vergangenen Sonntag erleuchtete ein Vollmond das Himmelzelt und so fand auch wieder ein Temazcal-Treffen statt. Der Ort, an dem sich die Teilnehmer zu dem mexikanischen Ritual versammelten, nannte sich Florida. Und im Gegensatz zu der bekannten, US-amerikanischen Stadt, verdankt er seinen Namen wirklich einer üppigen Blumenpracht. Freundlich wurde ich bei meiner Ankunft von den bereits anwesenden Kolumbianern empfangen. Relaxed genossen sie die idyllische Atmosphäre. Frauen und Kinder badeten in einem sich vorbei schlängelnden Fluss. Die Männer erhitzten Lavasteine in einem Feuer. Als die Felsbrocken die nötige Temperatur erreicht hatten, reihten sich die Teilnehmer auf. In Erwartung einer Art Natur-Sauna waren alle mit wenig, zumeist nur einer Badehose, bekleidet. Mein Freund Micha bekreuzigte jeden einzelnen mit etwas rauchender Glut. Dann krabbelten wir auf allen Vieren in eine Iglu-Konstruktion aus Ästen und Plastikplanen. Im Inneren erwartete uns ein Schamane, oder zumindest jemand der für diesen Nachmittag den Job eines solchen übernommen hatte. Er begrüßte jeden einzelnen mit dem Wort „Omeleto“, in das jeder Neuankömmling laut einstimmte. Kreisrund wurde Platz genommen. Dunkelheit umgab uns. In der Mitte des Verschlags war eine Erdkule ausgehoben. Mit einer Art Hirschgeweih wurden nun die ersten heißen Steine in sie hinein balanciert. Eine Frau markierte die Lavabrocken mit einem Kreuz und Kräuter wurden über sie gestreut. Funken stoben auf. Dann stellten sich die Teilnehmer der Reihe nach vor. Man nannte seinen Namen und dass, was man sich von der angehenden Sitzung versprach. Dazwischen riefen alle im Chor wieder „Omeleto“. Der Schamane, ein hagerer Mann mit sehnigem Körper, bespritzte das heiße Gestein mit Wasser. Dampf machte sich breit. Nachdem die Begrüßung der etwa 15 bis 20 Teilnehmer abgeschlossen war, begann er der Erde, der Sonne und anderen Naturelementen zu danken. Immer wieder erschallte der Gemeinschaftsruf „Omeleto“. Rasseln und andere Rhythmusinstrumente wurden verteilt, Lieder angestimmt und immer wieder die Steine mit Flusswasser besprengt. Es wurde heiß und heißer. Klebriger Schweiß ran mir aus allen Poren. Der erdige Boden unter mir begann sich aufzulösen, ebenso wie mein Zeitgefühl. Als ich es völlig verloren hatte, war die erste Sitzung zu Ende. Die Luke wurde geöffnet und spärlich drang Sauerstoff herein. Ein kurzer Moment des Erwachens, dann wurde es wieder dunkel.

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Lieder und Danksagungen an Mutter Erde, Vater Sonne und andere Naturphänomene prägten auch die drei weiteren Sitzungen. Dazwischen wurden immer neue, glühende Lavasteine hereingerollt und mit Kräutern bestreut. Hitze und Wasserdampf nahmen beständig zu, der Boden unter mir an Festigkeit ab. Doch während ich dies zu Beginn des Rituals noch als anstrengend empfand und meine Anspannung zunahm, setzte schon bald ein umgekehrter Prozess ein. Mein Geist schien sich von meinem Körper zu verabschieden und in eine andere Sphäre einzutauchen, die Zeit sich nicht mehr zu dehnen wie ein Kaugummi, sondern zu schrumpfen. Die vierte Sitzung verstrich wie ein Augenaufschlag. Nachdem ich wieder ins Freie getreten war, wusch ich im Fluss Schlammkruste und Grasfetzen von mir. Mir war, als steckte ich in einem neuen Körper, zumindest in einer anderen Haut. Ich atmete aus einer neuen Lunge. Für mich war dies eine einmalige Erfahrung, ein Erlebnis, das ich gern wiederholen würde.
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Posted in Kolumbien.

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One Response

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  1. amy says

    Pereira 1, Pereira 2…Que hermosa descripción del temascal. Con tus palabras he vuelto a vivirlo y a olerlo, un poco más mágico que en la realidad. … Si, una nueva piel después de haber regresado al útero de la tierra los malos sentimientos pegados en el alma.